In diesem Krieg werden Demokratie, Freiheit und Menschenrechte angegriffen. Am meisten leidet die Zivilbevölkerung darunter. Familien müssen sich tagelang in U-Bahnschächter verstecken. Menschen riskieren ihr Leben, um das Ganze zu stoppen. Viele mussten ihr Land verlassen, um sich und ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. Die humanitäre Notlage vor Ort spitzt sich von täglich zu.

Am 02. März 2022 reichte unsere Fraktion ein dringliches Postulat ein und forderte den Stadtrat von Luzern auf, möglichst rasch zu handeln und ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Unsere konkreten Forderungen lauteten wie folgt:

  • die ukrainische Bevölkerung in Form von sichtbarer oder lautstarker Solidarität zu unterstützen (zB Demonstrationen/Kundgebungen gegen den Krieg zu bewilligen, Gebäude in den Farben der ukrainischen Flagge zu beleuchten etc..);
  • die ukrainische Bevölkerung mit finanzieller Soforthilfe zu unterstützen;
  • sich im Rahmen seiner Möglichkeiten so schnell und so nachdrücklich wie möglich beim Bund (EJPD/SEM) dafür einzusetzen, dass die Schweiz vulnerablen Personen aus der Ukraine ihre Unterstützung anbietet, sich humanitär engagiert, weitere Länder zur Solidarität auffordert und selbst so viele Geflüchtete wie nur möglich aufnimmt;
  • im selben Zuge dem Bund und dem Kanton zu signalisieren, dass die Stadt Luzern bereit ist, so viele Geflüchtete aufzunehmen, wie menschenwürdig unterzubringen sind;
  • hier wohnhaften Menschen, die selbst und/oder deren Angehörige vom Krieg betroffen sind, in der Bewältigung der Situation zu unterstützen und sich dafür einzusetzen, dass die Schweiz entsprechende Massnahmen ergreift;
  • sich dafür auszusprechen, dass die Einreise der Angehörigen von Ukrainer*innen, die sich in der Schweiz aufhalten, erleichtert wird;
  • psychologische Unterstützungsangebote für Ukrainer*innen, welche bereits heute in der Schweiz leben oder sich aufgrund des Krieges hier niederlassen zu fördern.

Bereits an der Grossstadtratssitzung vom 17. März 2022 wurde das dringlich eingereichte Postulat überwiesen und vom Stadtrat entgegengenommen. Es freut uns besonders, dass unser Postulat von sämtlichen Parteien unterstützt wurde.

Was ist der Grund, dass der Schutzstatus «S» nicht bereits für Menschen galt, welche beispielsweise aus Syrien oder Afghanistan geflüchtet sind?
Selina Frey, Grossstadträtin

Wir sind erleichtert und dankbar, dass unser Stadtrat rasch reagiert hat und bereits viele unserer Forderungen erfüllt hat. Die Stadt Luzern hat bereits am 3. März 2022 die Einsatzorganisation namens «Hilfe für die Ukraine» gebildet. Dadurch soll es gelingen, die Aufgaben, welche im Zusammenhang mit dem Krieg auf die Stadt Luzern zukommen, zeitnah zu koordinieren und zu erledigen. Zudem hat der Stadtrat aus dem Solidaritätsfonds einen Beitrag von CHF 30’000.- an die Glückskette gespendet. Des Weiteren hat er als Zeichen der Solidarität und Verbundenheit mit dem ukrainischen Volk die ukrainische Flagge am Stadthaus angebracht; dem Kanton Luzern die Bereitschaft gezeigt, ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen und ein Liegenschaftsportfolio zusammengestellt, um geeignete Unterbringungsmöglichkeiten zu prüfen. Auch die Schulen der Stadt Luzern bereiten sich bereits auf die Beschulung der geflüchteten Kinder vor.

Sämtlichen Personen, welche hierzu einen Beitrag leisten, ist unsererseits ein grosses Dankeschön auszusprechen. Die Mithilfe der Stadt Luzern, diese Krisensituation zu bewältigen, erachten wir als wichtig und richtig.

«Wir wollen grosszügig und unkompliziert sein», hielt die Justizministerin Karin Keller-Suter im Zusammenhang mit der Aufnahme von Flüchtlingen bereits Anfangs März 2022 fest. Alle Personen aus der Ukraine können bisher visumsfrei in die EU und in die Schweiz einreisen. Auf Bundesebene wurde aus diesem Grund der Schutzstatus «S» eingeführt, was den geflüchteten Menschen eine rasche Sicherheit und Klarheit gibt, ohne ein ordentliches Asylverfahren durchlaufen zu müssen.

Die Solidarität der Zivilbevölkerung ist in der aktuellen Situation unglaublich gross. Wöchentlich finden Demonstrationen und Kundgebungen statt gegen den Krieg und als Zeichen der Solidarität gegenüber der Ukraine. Die Zahl der Demonstrant*innen erreichte Höchstwerte gegenüber anderweitigen Demonstrationen. Viele Balkone sind mit blau/gelben- oder Regenbogen-Flaggen behängt. Auf Campax haben sich sehr viele Privatpersonen registriert, um ukrainischen Flüchtlingen ein Zuhause auf Zeit anzubieten. Die geflüchteten Personen aus der Ukraine werden mit offenen Armen empfangen. Es werden Benefizveranstaltungen organisiert, in den Medien sind immer öfters Bericht zu finden von ersten Geflüchteten und ihrem Ankommen in der Schweiz.

Wir erachten es als wichtig, dass in dieser ganzen Welle der Solidarität nicht in Vergessenheit geraten sollte, dass in Ländern wie Syrien, Afghanistan, Äthiopien, Mail, Nigeria, Jemen, Südsudan, Kongo, Kamerun, Burundi etc. seit Jahren, teilweise Jahrzehnten Kriege und bewaffnete Konflikte geführt werden. Auch hierfür setzt sich die G/JG-Fraktion ein. Im März 2020 haben wir beim Stadtrat ein dringliches Postulat eingereicht und den Stadtrat angeregt, sich für die Aufnahme von geflüchteten Menschen einzusetzen, welche sich aktuell als Flüchtlinge in Griechenland befinden. Im August 2021 reichten wir ein dringliches Postulat für Menschen aus Afghanistan ein – analog den Forderungen für Menschen aus der Ukraine. Die Bilder zum Zeitpunkt der Machtübernahme der Taliban, welche flüchtende Menschen zeigten, die sie an Flugzeugen festhielten, welche starteten, gehen uns so schnell nicht mehr aus dem Kopf. Die grosse Solidarität aus der Zivilbevölkerung – so wie wir sie jetzt feststellen – war kaum zu erkennen. Die Schweiz hat sich entschieden, keine Resettlement-Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen und seit dem Sommer 2021 wurde kein einziges humanitäres Gesuch von einer afghanischen Person durch das Staatssekretariat für Migration bewilligt. Ein weiteres Beispiel lässt sich mit dem Brand im Moria im Sommer 2020 aufzählen: Ein Flüchtlingslager brannte – über 12’000 geflüchtete Menschen verloren innert einer Nacht das wenige, was sie noch besassen und wurden obdachlos. Die Schweiz entschied sich, lediglich 20 unbegleitete minderjährige Asylsuchende von Moria aufzunehmen.

Aufgrund dieser Tatsachen stellen sich für die Grossstadträtin und Sozialarbeiterin, Selina Frey, einige Fragen:

  • Was ist der Grund, dass der Schutzstatus «S» nicht bereits für Menschen galt, welche beispielsweise aus Syrien oder Afghanistan geflüchtet sind? Auch sie sind vor einem Krieg geflohen und hätten durch einen unkomplizierten, raschen Entscheid viel Sicherheit und eine rasche Klarheit erhalten. Zudem ist es für viele Menschen aus Syrien und Afghanistan, welche mit einem F-Ausweis in der Schweiz sind, bis heute nicht möglich, ihre Familie nachzuziehen und sie dürfen die Schweiz nicht verlassen, um z. B. ihre Verwandten im naheliegenden Deutschland zu besuchen.
  • Was ist die Rechtfertigung der aktuellen Andersbehandlung der ukrainischen Flüchtlinge im Gegenteil zu allen anderen Personen, welche bereits früher in die Schweiz geflüchtet sind? Ist es die Ethnie? Der Bildungshintergrund? Der Kulturkreis? Die Religion? Das Aussehen?
  • Worin liegt die Begründung für die vorhandene grosse und schöne Solidarität gegenüber den ukrainischen Flüchtlingen? Ist es die geografische Nähe der Ukraine zur Schweiz; liegt es daran, dass fast jede*r von uns jemanden aus der Ukraine kennt oder ist es die Angst der Bevölkerung, dass uns dieser Krieg ebenfalls betreffen könnte und wir unsere finanzielle, soziale, psychische oder physische Integrität als gefährdet sehen könnten?

Selina Frey arbeitet bei der Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen beim Kanton Luzern und kennt die Situation von geflüchteten Menschen in der Schweiz bestens. Sie erfreut sich an der grossen Solidaritätswelle und wünscht sich gleichzeitig, dass die aktuelle Solidarität aus der Zivilbevölkerung längerfristig bestehen bleibt und in Zukunft allen geflüchteten Menschen gilt. Integration soll keine Exklusivität darstellen, den es handelt sich hierbei um einen gegenseitigen Prozess, an dem sich sowohl die einheimische als auch die ausländische Bevölkerung beteiligen muss. Die Offenheit der schweizerischen Zivilbevölkerung, ein Klima der Anerkennung, der Abbau von diskriminierenden Schranken und die Solidarität gegenüber ALLEN MENSCHEN ist für eine gelingende Integration unabdingbar.